Imago
Ausstellung
Kunsthalle Palazzo, Liestal
8.6. — 13.10.2019
1920 wurde dem Schweizer Schriftsteller Carl Spitteler (1845 – 1924) rückwirkend auf das Jahr 1919 der Nobelpreis für Literatur verliehen, wie es in der Begründung heisst, vor allem für sein gross angelegtes Epos «Der olympische Frühling» (erschienen 1905). Spitteler war so der erste Schweizer, dem diese Ehre zuteilwurde. Und – mit Ausnahme von Hermann Hesse – der einzige bis heute. Denn weder Charles-Ferdinand Ramuz noch Friedrich Dürrenmatt oder Max Frisch kamen je in die Nobelpreis-Kränze.
Aus Anlass des 100-Jahr-Jubiläums finden verschiedenste Veranstaltungen statt, so auch viele im Kanton Baselland, war doch Spitteler ein gebürtiger Liestaler und sehnte sich noch in seinen Kindheitserinnerungen in die Landschaft seiner ersten Jahre zurück.
Die Abteilung Kulturelles des Kantons Baselland trat an uns mit der Bitte heran, im Jubiläumsjahr 2019 in der Kunsthalle Palazzo Liestal eine Kunstausstellung zu konzipieren, die Spitteler ins Zentrum setzt. Nun hat zwar der Schriftsteller in seinen Notizbüchern auch Skizzen von Landschaften und Frauen gezeichnet, zeigt sich ein Bezug zu Arnold Böcklin, wurde er von Ferdinand Hodler porträtiert und hat in Karl Bickels PAX mal hoch über dem Walensee ein wuchtig-utopisches Denkmal erhalten; aber sein Bezug zur Bildenden Kunst liegt nicht auf der Hand, erst recht nicht, wenn es darum geht, Spitteler und sein Werk in die Gegenwart und in die Gegenwartskunst zu transponieren.
Eine weitere Knacknuss: Carl Spitteler ist, trotz des Literaturnobelpreises, nur noch wenigen ein Begriff. Seine Bücher werden kaum mehr gelesen. Zu Unrecht, wie Peter von Matt findet, denn man könne den olympischen Frühling auch als das «spektakulärste Ereignis deutschsprachiger Fantasy-Literatur» interpretieren; die Sprache sei «derb und sinnlich, subtil und erkenntnistief, mit nichts Bekanntem zu vergleichen». In jedem Fall ist Spitteler ein kulturhistorisches Phänomen. Spittelers Epen öffnen zivilisationskritische Räume und sind analog zu den philosophischen Thesen von Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche zu lesen. Und sein Roman Imago (erstmals erschienen 1906) war für die damals noch junge psychoanalytische Schule ein wichtiger Bezugspunkt.
Spittelers Rede von 1914 «unser Schweizer Standpunkt» – ein Plädoyer für die Neutralität und für einen Weg des Friedens – wurde weit beachtet. Und brachte ihm, dem in Deutschland Gefeierten, dort nur Ächtung und Verachtung ein.
Es kann nicht die Aufgabe unserer Ausstellung sein, Spittelers Werke und Wirkung zu illustrieren. Wir versuchen, mit einem, wie wir hoffen, überraschenden Bildprogramm Spitteler aus heutiger Sicht zu umkreisen, zu dokumentieren, zu kommentieren, zu spiegeln – oder ernsthaft zu umspielen.
Der Ausstellungstitel lautet IMAGO. Das ist unser Hauptthema – Imago, das Wort, das lateinisch nichts anderes bedeutet als «Bild». Es geht um Bilder. Wenn es um Bilder geht, geht es um Bildfindungen, aber auch um Imaginationen, Einbildungen, Projektionen. Es prallen Bilder aufeinander, dicht an dicht. Welten kreuzen sich, irritierend. Zeiten verschieben sich, plötzlich, im Augenblick. So hat man sich IMAGO eigentlich als einen Essay vorzustellen.
Künstler*innen
IMAGO öffnet drei Hauptkapitel.
Das Kapitel Geschichtsbilder blickt zurück auf Bilder, die Spitteler begleitet haben könnten. Wir lassen dabei bewusst ebenso Verwicklungen zu wie die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Eingestreut sind Kunstwerke aus der Gegenwart, die mit Spitteler oder dessen Werk nicht auf den ersten Blick etwas zu tun haben müssen. Ergänzt werden die Geschichtsbilder durch einen Blick auf Landschaftsbilder. Zudem öffnen sich Antiken- und Jugendbilder.
Die Frauenbilder knüpfen an den Roman Imago an. Welche Frauenbilder um 1900 sind augenfällig oder latent im Blickfeld von Spitteler? Wie muten uns diese Bilder heute an? Wie viel Gegenwärtiges ist trotz des zeitlichen Abstandes zu entdecken? Die dichte Galerie der Frauenbilder, die wie ein Dreh- und Kernpunkt der Ausstellung funktioniert, wagt schliesslich den Sprung in die Gegenwart. Aktuelle Werke von mehr als dreissig Künstlerinnen und Künstlern sind hier versammelt. Ihre Frauenbilder können, so meinen wir, unsere eigenen Bilder und Stereotypen hinterfragen, reflektieren oder gar hintergehen.
Ist IMAGO in den beiden ersten Kapiteln bewusst verdichtet angelegt, so öffnen sich im Kapitel Spiegelbilder die Räume. Offene Räume ermöglichen offene Konzepte. Dies wiederum führt und verführt zu Assoziationen, die den Blick auf die Frauenbilder und auf die Geschichtsbilder verändern oder verschieben mögen. Denn die Ausstellung ist so angelegt, dass der Weg nicht zwingend von der Vergangenheit in die Gegenwart führen muss. Auch der umgekehrte Weg ist möglich.
Publikation
IMAGO
Herausgeber: Massimiliano Madonna, Konrad Tobler
Verlag: Eigenverlag
Konzept: Massimiliano Madonna, Konrad Tobler
Gestaltung: Beat Cadruvi
Druck: Tanner Druck
ISBN: 978-3-033-07274-9
Künstler*innen
- Albert Anker
- Giro Annen
- Ernst Barlach
- Reto Camenisch
- Ferdinand Hodler
- Reinhold Rudolf Junghanns
- Alexander Jaquemet
- Max Liebermann
- El Lissitzky
- Frans Masereel
- Pavel Schmidt
- Carl Spitteler
- Ilya Tschaschnik
- Uwe Wittwer
- Wolfgang Zät
- Robert Zünd
- Anna Altmeier
- Marc Bauer
- Seline Baumgartner
- Arienne Birchler
- Samuel Blaser
- Balthasar Burkhard
- Daniele Buetti
- Johanna Dahm
- Johanna Stierlin
- Christian Denzler
- Barbara Ellmerer
- Klodin Erb
- Franz Gertsch
- Alain Huck
- Frantiček Klossner
- Reto Leibundgut
- Jérôme Leuba
- Manon
- Chantal Michel
- Gian Paolo Minelli
- Victorine Müller
- Pat Noser
- Meret Oppenheim
- Irina Polin
- Markus Raetz
- Augustin Rebetez
- Hans Schärer
- Sonja Maria Schobinger
- Karoline Schreiber
- Loredana Sperini
- Karl Stauffer-Bern
- Annelies Štrba
- Niki de St. Phalle
- Sibylla Walpen
- Wilhelm Wohlgemuth
- Lena Amuat
- Zoë Meyer
- Alain Huck
- Irene Maag
- Cy Twombly
- Peter Wüthrich
- Lara Konrad
Kuratoren
- Massimiliano Madonna
- Konrad Tobler
Autor
- Konrad Tobler